Zur Semantik von Revolution

Anlässlich der wiederbelebten Debatte um die Hidschab- bzw. Verschleierungspolitik in der Islamischen Republik Iran der letzten Wochen und um die Zukunft der Anti-Hidschab-Bewegung („Frau, Leben, Freiheit“) seit Sepember 2022, die von ihren Anhängerinnen und Anhängern als „Revolution“ bezeichnet wird, möchte ich heute ein kleines semantisches Notiz zu diesem Wort schreiben.

Der Duden Online definiert das auf das französische révolution bzw. das Spätlateinische revolutio (´das Zurückwälzen´) zurückführende Wort allgemeinsprachlich wie folgt: „auf radikale Veränderung der bestehenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse ausgerichteter, gewaltsamer Umsturz[versuch]“. Weitere Bedeutungen lauten: „tief greifende Wandlung; umwälzende, bisher Gültiges, Bestehendes o. Ä. verdrängende, grundlegende Neuerung“, „Umlaufbewegung der Planeten um die Sonne“ und „Null ouvert Hand, bei dem die gegnerischen Spieler die Karten austauschen“ im Kartenspiel Skat. Eine fachsprachliche Definition für Revolution liefert etwa das Politiklexikon der Bundeszentrale für politische Bildung folgendermaßen: „eine schnelle, radikale (i. d. R. gewaltsame) Veränderung der gegebenen (politischen, sozialen, ökonomischen) Bedingungen“.

Im heutigen Persisch lautet die Entsprechung für Revolution das auf das Arabische zurückgehende Enqelab. Laut Dehkhoda-Loghatnameh, dem umfassendsten Wörterbuch der persischen Sprache, bedeutet es unter anderem „Zurückgehen“, „Zurückbringen“, „Zerstörung“, „Unruhe“ und schließlich „Aufstand einer Gruppe für das Stürzen eines herrschenden Systems und das Schaffen eines Neuen an dessen Stelle“. Laut dem Mo’in-Wörterbuch, dem anderem lexikografischen Standardwerk für die persische Sprache in Iran, werden zusätzlich auch diese Bedeutungen aufgeführt: „sich verändern“, „sich auf den Kopf stellen“, „Erbrechen“ und im philosophischen Sinne „Verwandlung einer Form zu einer anderen“. Wie es sich herausgestellt hat, weist die persische „Revolution“ eine viele breitere Semantik auf als die deutsche, zumindest mit Blick auf die hier verwendeten Wörterbücher.

Zum Schluss noch eine politolinguisitsche Anmerkung zur o. g. Neigung der Anhängerschaft der Anti-Hidschab-Bewegung („Frau, Leben, Freiheit“) zum Wort Revolution bzw. Enqelab: Andres als bei einem „Aufstand“ konnotiert „Revolution“ einen viel größeren und mehrere soziale Gruppen umfassenden Aufstand, der somit sehr wahrscheinlich zum Sieg führen würde. Man kann behaupten, dass das Bestehen auf einem Wortgebrauch mit „Engelab“, zwar nicht realpolitische Tatsachen und Geschehnisse widerspiegelt, aber gewiss einen politischen Wunsch und zugleich eine Art sprachlichen Kampf mit kriegspsychologischer Wirkung nach innen und außen.

Quelle: Online-Versionen der Wörterbücher Dehkhoda und Mo’in auf der Webseite der Abadis-Wörterbüchersammlung 


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