Von „Farsi“ zu „Dari“: Afghanischen Staatsverfassungen 1919–1992

„Dari“ ist der offizielle Name der afghanischen Varietät des Persischen. Das war aber nicht immer so. Im Zusammenhang mit der Spachnnamensänderung in Afghanistan fällt häufig das Jahr 1964, in dem Afghanistan unter der 1933 bis 1973 andauernden Herrschaft von Mohammad Zahir Schah eine neue, konstitutionelle Verfassung bekam. Wie sieht es aber in den anderen Verfassungen Afghanistans, einem Land, das seit dem 20. Jahrhundert unterschiedliche Herrschaftssysteme erlebt hat und seit dem Sommer 2021 wieder von den Taliban regiert wird? In zwei Beiträgen werfe ich deshalb einen Blick in alle afghanischen Verfassungen vor und nach 1964 und nehme die Benennung der persischen Sprache und die sprachenpolitische Erwähnung anderer Sprachen in Afghanistan unter die Lupe.

1. Verfassung vom 20 Hama 1302 (10. April 1923) in 73 Artikeln: Die in der Herrschaftszeit von Amanullah Khan zwischen 1919 und 1929 entstandene Verfassung liegt aber in zwei Fassungen, einer in Paschtu und eine in Persisch. Darin wird aber die Frage der zulässigen oder amtlichen Sprachen nicht thematisiert. Lediglich am Ende der persischen Fassung steht: „Diese persische [Farsi-] Übersetzung stimmt mit der afghanischen [d.h. paschtunischsprachigen] Originalfassung der Verfassung überein.“

2. Verfassung vom 8 Aqrab 1310 (31. Oktober 1931) in 110 Artikeln: Auch in dieser konstitutionellen Verfassung von Mohammad Nadir Schah, der von 1929 bis 1933 über Afghanistan herrschte, lässt sich keine direkten sprachenpolitischen Erwähnungen im Text in Bezug auf Staats- oder Landessprachen finden. Die Verfassung wurde aber wie die erste Verfassung in einer paschtunischen und einer persischen Fassung angefertigt. Er ist davon auszugehen, dass Persisch immer noch als „Farsi“ bezeichnet wurde.

3. Verfassung vom 9. Mizan 1343 (1. Oktober 1964) in 128 Artikeln: Diese Verfassung stammt aus der Herrschaftszeit von Mohammad Zar Schah zwischen 1933 und 1973. Hier taucht wie oben zurecht bemerkt zum ersten Mal in einer afghanischen Verfassung der Name „Dari“ auf. Der Artikel 3 lautet: „Von den Sprachen Afghanistans gelten Paschtu und Dari als offizielle Sprachen.“

4. Verfassung vom 5 Hut 1355 (24 Februar 1977) in 136 Artikeln: Diese republikanische Verfassung stammt aus der Zeit Mohammad Daoud Khans, der von 1973 bis 1978 der erste Präsident Afghanistans war. Der Artikel 23 entspricht im Wortlaut dem Artikel 3 der 1964-Verfassung und Persisch wird erneut als „Dari“ bezeichnet. Neben Paschtunisch werden keine Minderheiten aufgezählt. Nur implizit wird darauf hingewiesen, indem Paschunisch und Dari „von den Sprachen Afghanistans“ herausgenommen werden.

5. Verfassung vom 25 Hamal 1359 (14 April 1980) in 68 Artikeln: Diese sozialistische Verfassung stammt aus der Zeit Babrak Karmals, der von 1979 bis 1986 als dritter Präsident der Demokratischen Republik Afghanistans an der Macht war. Darin wird nirgends explizit von den offiziellen Sprachen des Landes gesprochen. Artikel 28 etwa besagt, dass alle Staatsbürger Afghanistans vor dem Gesetz gleich sind, auch unabhängig ihrer Sprache. Aber in Artikel 57 im Kapitel 7 zum Rechtssystem und den Gerichts steht: „Die Bearbeitung und Lösung von Streitfällen in den Gerichten wird in Paschtu und Dari oder in der Mehrheitssprache der lokalen Menschen realisiert.“ Also der Sprachname „Dari“ wird auch hier explizit erwähnt.

6. Verfassung vom 9 Qaus 1366 (30 April 1988) in 149 Artikeln: Diese Verfassung stammt aus der Zeit von Mohammad Najibullah, der fünfte und letzte Präsident der Demokratischen Republik Afghanistans von 1987 bis 1992. Hier ist eine Rückkehr zur 1964-Verfassung zu beobachten, indem unter Artikel 8 – ähnlich den Artikel 3 der 1964-Verfassung – im Wortlauf übernommen wird. Darin wird „Dari “– natürlich wie bisher erst nach Paschtu – als eine der zwei offiziellen Sprachen des Landes genannt.

7. Verfassung vom 8 Jauza 1369 (29 Mai 1990) in 149 Artikeln: Es handelt sich hier um eine geänderte Fassung der letzten Verfassung aus der Zeit von Mohammad Najibullah. Artikel 8 wurde aber nicht geändert und darin wird Persisch weiterhin „Dari“ genannt.

Im nächsten Beitrag, der in einer Woche herauskommt, werde ich die Zeit seit Ende der Demokratischen Republik Afghanistans und dem Ausbruch des Bürgerkriegs im Jahr 1992 bis heute behandeln.

Quellen: Erste Verfassung Afghanistans; Afghanische Staatsverfassungen (1923-2004)


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