Über die Nationalhymnen der persophonen Länder – mit Blick auf die neueste Hymne Afghanistans

Im Anschluss an den Artikel aus der letzten Woche möchte ich heute wie folgt die afghanische Nationalhymne näher betrachten:

Es sei gleich zu Beginn vermerkt, dass bei der vorliegenden Inhaltsanalyse der afghanischen Hymne neben dem dari-persischen Übersetzungstext – anders als bei der Übersetzung ins Deutsche – auch mit dem paschtunischen Originaltext gearbeitet wurde. Auf das paschtunische Original wurde nämlich für die Überprüfung des dari-persischen Übersetzungstextes auf dessen lexikalisch-semantische Genauigkeit und Übereinstimmung mit dem Original zurückgegriffen.

Der afghanische Hymnentext betitelt mit „Das ist der Furchtlosen Haus“ (persisch: „اینجا خانه‌ی شجاعان است“, paschtunisch: „دا د باتورانو کور“) beginnt mit einem einleitenden Doppelvers, der die zwei Kernelemente des nationalen Selbstverständnisses der Afghanen in sich vereint, nämlich Blut („خون“ bzw. „وینه“) im nicht-rassistisch-selbstopferischen Sinne sowie Heim („خانه“ bzw. „کور“). Diese beiden Elemente tauchen in den darauffolgenden vier Strophen immer wieder auf, insbesondere das Heimat-Konzept durch das frequenteste Wort im gesamten Text, nämlich Heim bzw. Haus in genitivischen Wortverbindungen wie „Der Märtyrer Haus“ („خانه‌‌ی شهدا“ bzw. „شهیدانو کور“), „Der Furchtlosen Haus“ („خانه‌ی شجاعان“ bzw. „باتورانو کور“), „Der Löwen Haus“ („خانه‌‌ی شیرها“ bzw. „زمریانو کور“), „Der Adler Haus“ („خانه‌‌ی عقاب‌ها“ bzw. „بازانو کور“) und schließlich „Der Afghanen Haus“ („خانه‌‌ی افغان‌ها“ bzw. „افغانانو کور“). Die frequenteste Wortverbindung hiervon ist übrigens die zugleich im Titel vorkommende, sog. Ezafeh-Konstruktion „Der Furchtlosen Haus“. 

Auch das Konzept der Heimat-Verteidigung gegen fremde Mächte wird mehrfach im Zusammenhang mit dem Sterben, aber auch Töten von Feinden für die afghanische Heimat sprachlich realisiert. Unten werden diese sprachlichen Formen mit ihren persischen und paschtunischen Äquivalenzen in flektierter Form aufgeführt, die so in der dari-persischen Fassung bzw. dem paschtunischen Original vorkommen.

„Blut“ („خون“ bzw. „وینو“)

„Märtyrer“ („شهدا“ bzw. „شهیدانو“)

„Rubine“ im übertragenen Sinne für blutfarbig („یاقوت“ bzw. „لعلونه“)

„Rote Rosen“ im übertragenen Sinne für blutfarbig („گل رز قرمز“ bzw. „گلونه“)

„Unsere Lebenszeit“ („عمر ما“ bzw. „ژوندون زمونږ“)

„Mein Leben“ („جانم“ bzw. „زۀ“ im pronominal-übertragenen Sinne verwendet)

„Der Russen Gräberfeld“ („گورستان روس‌ها“ bzw. „اورسانو گور“)

„Schädel“ der russischen Feinde („‌‌جمجمه‌ها“ bzw. „ککری“)

„Feinde“ („دشمنان“ bzw. „دښمن“)

Eine letzte inhaltsanalytische Auffälligkeit ist die Nennung der historisch größten Feinde der Afghanen, also die Engländer und die Russen im 19. und 20. Jhd., in den letzten zwei Strophen, wobei die Russen zweimal und somit als den letzteren, gewichtigeren Feind genannt werden. Dass die Amerikaner unter den Feinden der Afghanen in ihrer modernen Geschichte und ausgerechnet der Taliban keine Erwähnung finden, obwohl gerade die Amerikaner 2001 mit militärischer Intervention die Herrschaft der Taliban beendet haben und sie auch danach Jahre lang bekämpft haben, bleibt nicht nachvollziehbar.

Insgesamt lässt sich die neueste afghanische Nationalhymne unter erneuter Herrschaft der Taliban seit 2021 gerade im Hinblick auf die destruktive Rolle der fremden Mächte in der modernen Geschichte des Landes als stark patriotistisch-protektionistisch einordnen. Und wider Erwarten hinterlässt die Hymne der islamistisch-fundamentalistischen Taliban, keine religiösen bzw. religionsideologischen Spuren. Es lassen sich nämlich an keiner Stelle im Hymnentext mittel- oder unmittelbar Hinweise auf „Gott“, „Glauben“ oder „Islam“ finden.

Nächste Woche werde ich die tadschikische Hymne inhaltsanalytisch näher betrachten.

Quelle: Afghanische Nationalhymne


Beitrag veröffentlicht

in

von

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert